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Impuls zum 23. November 2025

Zu Christkönig

Von Ferdinand Kerstiens (Marl), pax christi Münster

Auf der Seite der Opfer

Evangelium nach Lukas 23,35-41
In jener Zeit verlachten die führenden Männer des Volkes Jesus und sagten: Anderen hat er geholfen, nun soll er sich selbst retten, wenn er der Christus Gottes ist, der Erwählte. Auch die Soldaten verspotteten ihn; sie traten vor ihn hin, reichten ihm Essig und sagten: Wenn du der König der Juden bist, dann rette dich selbst! Über ihm war eine Aufschrift angebracht: Das ist der König der Juden. Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn: Bist du denn nicht der Christus? Dann rette dich selbst und auch uns! Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Dann sagte er zu Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst. Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir. Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.

In der Lesung aus dem Kolosserbrief heißt es von Jesus: „Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden … alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.“ (Kol 1, 14f) Jesus Christus, der König des Alls!

Jeder darf über ihn spotten: die Mitglieder des Hohen Rates, die Soldaten, der eine Verbrecher. Was soll man auch sonst tun angesichts des eklatanten Widerspruchs zwischen dem Ohnmächtigen am Kreuz und der Tafel, die darüber angebracht ist: „Das ist der König der Juden.“ Wehrlos ist er ihnen ausgeliefert. Jeder darf sich lustig machen über seinen Anspruch. Jesus Christus – König? Höchstens ein gescheiterter.

Sind nicht auch wir in der Versuchung so zu denken wie die Mitglieder des Hohen Rates, die Soldaten und der eine Verbrecher neben Jesus? So unterschiedlich ihre Position, so einhellig ihr Unverständnis, so einhellig ihr Spott: Wenn du der Messias bist, wenn du anderen geholfen hast, so hilf dir selbst! Sie alle, wir alle können uns Herrschaft nur so vorstellen, dass einer seine Macht für sich gebraucht, zu seiner Verteidigung, wenn er angegriffen wird, zum Sieg über andere, wo es möglich ist. König sein, Präsident oder Vorstandsvorsitzender, - das bedeutet Macht über andere. Wo Anspruch und Wirklichkeit so auseinanderklaffen wie bei Jesus am Kreuz, da kann man nur spotten oder Mitleid haben mit dem armen Irren. Es gab ja schon so viele, die mehr sein wollten, als sie waren.

Die Königsherrschaft Jesu sieht anders aus. Sein Thron ist das Kreuz. Er steht auf der Seite der Ermordeten, der Opfer, der Kleinen und Armen. Ihnen verhilft er zum Leben, wenn sie nur wollen. So sagt er zu dem anderen Verbrecher: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Sein Verhalten ist nicht Macht über Menschen, sondern Gericht über die Macht, die sich auf Kosten der Menschen auslebt, über alle Spötter, die auf Kosten der Opfer ihren Spaß haben. Sein Königtum ist Gericht über die Mächtigen, die die Unschuldigen leiden lassen, wenn es nur ihrer Machterhaltung oder Machterweiterung dient. Diese Linie führt vom Kreuzestod Jesu bis hin zum Mord an Oscar Romero und an den Jesuiten in El Salvador und zu dem Mord an den Campesinos in Brasilien, die gewaltlos ihr Land verteidigen wollen. 

Endlich ein König, der auf Seiten der Opfer steht! Endlich ein König von unten und nicht von oben! Er selber nimmt das Kreuz auf sich, nicht, weil er es gesucht hat, sondern erst, als es ihm in der Konsequenz seines Lebens auferlegt wird. Er führt die Opfer zum Sieg. Er tritt bis zum letzten ein für die Würde der Menschen, für die Würde auch des Verbrechers neben ihm, für die Würde der Armen, der Unterdrückten. Mit ihnen ist er solidarisch. Wir erleben in unserer Zeit, wie die Mächtigen unsere Welt zerreißen, wie sie die Kleinen ausbeuten, wie sie ihre Konflikte auf dem Rücken der Ohnmächtigen austragen. Und oft sind auch die Soldaten, vor allem die Kindersoldaten, Opfer, weil sie nichts anderes lernen konnten als kämpfen, schießen und sterben. Wo anders ist Hoffnung für die Menschen, für die Mehrheit aller Menschen in der Welt, wenn nicht im Blick auf solche Menschen, die wie Jesus den Spott der Mächtigen nicht scheuen und mit ihrem Leben eintreten für das Leben der Opfer?

J.B. Metz, dem ich viele Anregungen für meine Theologie verdanke, hält es für das entscheidende Charakteristikum jüdisch-christlichen Glaubens, das Gedächtnis der Leidenden wachzuhalten. Nur so könne die Humanität der menschlichen Geschichte gewahrt bleiben. Sonst seien die Opfer nur noch anonymer Abfall der Siegergeschichte. Die entscheidende Frage sei nicht: Wer ist Gott? Sondern: Wo bleibt Gott angesichts des Leidens, angesichts von Auschwitz? Das Gedächtnis der Leidenden ist der Stachel im Blick auf die Menschheitsgeschichte. Es wird zur „gefährlichen Erinnerung“ für alle Mächtigen und entlarvt die scheinbaren Selbstverständlichkeiten jedweder Machtausübung. Es gilt, die Geschichte aus der Sicht der Opfer zu sehen: die Herrschaftsansprüche der Wirtschaft auf die Menschen überall in der Welt, auf ihre Arbeitskraft, ohne auf die Würde der Menschen zu achten und sie zu schützen. 

Wir erleben heute das Gegenbild zu Jesus Christus, dem König: In den USA entwickelt sich ein Netzwerk rechtsgerichteter Katholiken, das bis zum Vizepräsidenten Vance reicht. Ihre Thesen: Die Gesellschaft ist vom Liberalismus durchseucht, der zu sehr auf die Freiheit des einzelnen Menschen setzt. Dieser Individualismus zerbröselt die Geschlossenheit und Ordnung, die nur eine autoritäre Herrschaft leisten und garantieren kann. Die Demokratie muss überwunden werden, damit der Staat das gute Leben der eigenen Staatsangehörigen sichern kann „Amerika first“. Dazu braucht man die Aufhebelung der Trennung der grundlegenden drei Gewalten (Legislative, Judikative, Exekutive) und Trump als King, der sich das zutraut. 

Sicher gibt es dann auch Verlierer: die freie Presse, die unabhängige Wissenschaft, und all die Menschen, die sich nicht anpassen wollen, vor allem alle Fremden, alle Geflüchteten. Das Motto, oft ausgesprochen: Kein Mitleid für die Verlierer. Empathie schwächt die Nation. Eigentum und Familie müssen geschützt werden. Deswegen auch der Kampf gegen die Abtreibung, der oft als die symbolhafte Spitze dieser Bewegung gebraucht wird. Das Christentum – so meint diese machtbesessene Gruppierung - bestimmt die inhaltlichen Vorgaben, der Staat setzt sie durch.  Das Erschreckende bei dieser Analyse: die gleiche Kritik am Liberalismus und Relativismus, die alles zersetzen, führt bei dem Patriarchen Kyrill zur Unterstützung Putins bei dem Krieg gegen den westlichen Werteverfall. Bei manchen Islamisten und bei den Rechten in der Regierung Netanjahus ist ein ähnlicher Missbrauch der Religion zu erkennen, in Israel noch mit der Berufung auf Gott, der das Land seinem jüdischen Volk übergeben habe.

Genau hier ist der Platz des heutigen Festes: Die Sicht der Geschichte aus der Sicht der Opfer hat eine subversive Kraft. Das Gedächtnis der Leidenden wachzuhalten ist Zeichen der Solidarität mit ihnen, aber zugleich auch die Einladung, aktiv für die Leidenden unserer Tage einzutreten. Sonst blieb das Gedächtnis nur eine mentale Selbstbefriedigung. Nicht der Kaiser in Rom, nicht sein Statthalter in Israel, nicht Herodes oder der Hohe Rat, nicht die weltlichen oder religiösen Herrscher, nicht Trump, Putin oder Netanjahu, sind Könige, sondern das Opfer am Kreuz. Gedächtnis seines Leidens ist Gedächtnis aller Leidenden, Wahrung ihrer Würde und Hoffnung für ihr Leben. Es ist also alles andere als harmlos, wenn wir heute das Fest dieses Königs Jesus Christus feiern. Es zeigt, auf wessen Seite wir zu stehen haben. „Gott lässt keinen Spott mit sich treiben“, heißt es im Galaterbrief (6,7). Dieses Christkönigsfest feiern und nicht auf der Seite dieses Königs, auf der Seite der Leidenden stehen, - das wäre eine neue Verspottung Jesu. 

Das Christkönigsfest feiern heißt also: mit Jesus auf der Seite der Opfer zu stehen, konkret in unserer wirtschaftlichen und politischen Umwelt, inmitten aller Machtkämpfe im Kleinen wie im Großen, für Gerechtigkeit und Frieden zu kämpfen mit aktivem gewaltfreiem Einsatz, immer wieder neu, für die Würde aller Menschen einzutreten, auch im Kampf für menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen, für den Erhalt unserer Welt als Lebensraum für alles Lebendige zu kämpfen. Denn die Schöpfung ist nicht unserer Gewalt unterstellt, sondern nur in Ehrfurcht als Gottes Geschenk entgegenzunehmen und als Lebensraum für alles Lebendige zu hüten.

Wenn wir so dieses Fest feiern, dann können wir vielleicht den Spagat aushalten zwischen den großen Aussagen des Christushymnus der Lesung und dem leidenden Messias am Kreuz. Im Glauben dürfen wir beide Aussagen zusammenhalten. Dadurch wird unser Glaube bewahrt vor einer Siegermentalität auf der einen und vor der Untergangsstimmung auf der anderen Seite. Einfacher ist unser Glaube nicht zu leben. Aber gerade darin steckt die Hoffnung für alle Menschen.

Gebet
Jesus, Bruder aller Menschen,
vor allem der Leidenden, der Opfer.
Christus, König am Kreuz,
verspottet als Verlierer.
Dennoch oder gerade deswegen:
Keiner ist von dir vergessen.
Du sicherst die Würde der Opfer.
Deine Liebe kennt keine Grenzen. 
Rufe uns auf deine Wege,
damit dein Reich komme,
das Reich der Gerechtigkeit und des Friedens,
der Fülle des Lebens für alle.

(im heutigen Evangelium „Paradies“ genannt)